In Deutschland sind über ein Fünftel der Bevölkerung von Essstörungen betroffen, davon am häufigsten Jugendliche und junge Erwachsene.
Sie werden unter anderem durch die Medien und Schönheitsideale beeinflusst und damit wird die Essstörung im weitesten Sinne „gesellschaftsfähig“.
D.h. die Heranwachsenden orientieren sich an Models, Popstars und anderen und befinden sich als zu dick und daher hässlich.
Dies und andere konfliktbesetzte Situationen und/oder Familienprobleme führen zu einer permanenten Beschäftigung mit dem Thema Essen, jedoch im negativen Sinne! Somit entsteht häufig eine zwanghafte Beschäftigung mit der Nahrungsaufnahme, welche den gesamten Tages-/Lebensrhythmus dominiert und es wird die Grenze zur Sucht überschritten. Die Gründe und Ursachen für Essstörungen sind sehr verschieden.
Magersucht (Anorexia nervosa)
Die zwanghafte Einschränkung der Nahrungsaufnahme mit dem Ziel der extremen Reduktion des Körpergewichts aufgrund der übergroßen Angst zu dick zu sein, verbunden mit dem mehrmals täglichem Wiegen und ständigem Kalorienzählen.
Selbst bereits stark Untergewichtige sind der Überzeugung nach wie vor zu dick zu sein. Bei dieser Fehlbeurteilung des eigenen Gewichts und des Aussehens spricht man von einer Körperschemastörung.
Betroffene übernehmen damit die totale Kontrolle (u.a. durch bestimmte Essensrituale) über ihren Körper und treiben häufig exzessiv Sport.
Von der Magersucht sind Frauen und auch Männer betroffen (u.a. als Folge einer Muskelaufbau-Diät). Die Magersucht ist eine der gefährlichsten psychischen Störungen mit erheblichen Gesundheitsschäden, die lebensbedrohlich werden können. Es zeigen sich Herzrhythmusstörungen, Nierenschäden, Osteoporose, Folgen der Kachexie (krankhaftes Untergewicht): wie Ausbleiben der Regel, niedriger Blutdruck, verlangsamter Puls und Herzschlag, verringerte Körpertemperatur mit ständigem Frieren – blaue Finger/Hände, Schlafstörungen, Verstopfung, trockene Haut, brüchige Nägel bis zum Haarausfall. Die Seele leidet unter Depressionen, Ängsten bis zum sozialen Rückzug, der Isolation bis hin zu Todesgedanken.
Die Gesellschaft für Essstörungen (DGESS) verweist auf eine ca. 15% hohe Sterblichkeitsrate.
Ess-Brech-Sucht (Bulimia nervosa)
Bei der Bulimie bestimmt die Angst vor dem Dicksein den Lebensrhythmus, dabei führt im Unterschied zur Magersucht die aufkommende Gier (Craving) nach Essen zu Fressattacken mit der Aufnahme von extrem großen Kalorienmengen und dem darauffolgenden Erbrechen.
D.h. entweder strikte Diät, häufig mit viel Sport verbunden oder sogenannte „Fressanfälle“ charakterisieren diese psychische Störung, dabei sind Betroffene meist normalgewichtig.
Nach einer Fressattacke treten Schuld- und Schamgefühle sowie Panik auf, und bringen den Betroffenen zum selbst herbeigeführten Erbrechen. Unterstützend werden Abführmittel und Appetitzügler missbraucht. Dies geschieht heimlich und bleibt lange Zeit im Verborgenen. Nach außen führen Bulimiker/innen ein normales Leben.
Als Gründe für die Bulimie werden neben einer zwanghaften Gewichtskontrolle, ein vermindertes Selbstwertgefühl und Selbstzweifel genannt. Diese werden hinter einer Fassade verborgen, um den gesellschaftlichen Ansprüchen zu genügen bzw. zu entsprechen. Eigene Bedürfnisse können eher nicht wahrgenommen bzw. konkret ausgedrückt werden, und häufig gibt es Probleme bei der Konfliktbewältigung. Das Krankheitsbild wird vom Körper hassen, sich ekeln und im fortgeschrittenen Stadium vom sozialen Rückzug geprägt, dem gewollten Alleinsein, um sich vor Scham anderen gegenüber, den Ess-Brech-Attacken hinzugeben.
Zu den gesundheitlichen Folgeschäden zählen: Zahnschäden, Schwielen an den Händen, Schwellung der Speicheldrüsen, Entzündungen im Mund- und Rachenraum bis hin zu Magen-Darmstörungen infolge des häufigen Erbrechens. Desweiteren führen Störungen des Mineral- und Hormonhaushaltes zu Herz- und Nierenschäden, zum Nachlassen der Konzentration und Leistungsfähigkeit. Zu den seelischen Schäden zählen Depressionen und Ängste, sozial auffälliges Verhalten und teilweise selbstverletzendes Verhalten.
Binge-Eating-Disorder (wie „sich satt schlingen“)
Die Binge-Eating-Störung ist die am wenigsten erforschte Essstörung. Bei den charakteristischen Essanfällen werden viel zu große Portionen auffallend schnell herunter geschlungen und es werden im Gegensatz zur Bulimie keine Gegenmaßnahmen ergriffen: Die Betroffenen erbrechen danach nicht und nehmen auch keine Abführmittel oder andere Medikamente ein, um das Gewicht zu reduzieren. Sie machen den Anfall weder durch extreme Diäten noch durch sehr viel Sport „ungeschehen“.
Da während des Essanfalls sehr viele Kalorien aufgenommen werden, ist das Risiko groß, dass Menschen mit Binge-Eating-Störung übergewichtig werden.
Schwierig ist es, das Ausmaß der Essattacke zu beurteilen. Viele Betroffene berichten, dass ihr Essanfall nicht zeitlich begrenzt sei. Sie äßen einfach ständig. Andere essen vor allem nachts. Die Essanfälle finden dann vor dem Schlafengehen statt, oder die Betroffenen stehen nachts auf, um zu essen und bei Erwachsenen geschieht es heimlich.
Die Binge-Eater sind auf das Essen fixiert, während des Essanfalls haben sie das Gefühl, keine Kontrolle mehr über das Essen zu haben. Sie essen, ohne hungrig zu sein, und essen weiter, auch wenn sie eigentlich satt sein müssten. Sie schämen sich für die Anfälle, fühlen sich schuldig, verachten sich und lehnen ihren Körper ab. Sie leiden sehr unter den Essanfällen.
Typisch für Menschen mit einer Binge-Eating-Störung ist, dass sie häufig wenig körperlich aktiv sind. In ihrer Freizeit bewegen sie sich wenig, sehen lieber fern, spielen Computer oder gehen andern bewegungsarmen Hobbys nach.
Die Ursachen dieser Essstörung können neben Stress-, Wut- und Spannungsabbau auch das Essen als Belohnung sein oder Essen dient dazu, Gefühle zu betäuben. Ärger, Kummer, Traurigkeit, Unruhe, Einsamkeit und andere Gefühle werden „weggegessen“.
In neueren Forschungsstudien wird angegeben, dass eine starke Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper in Verbindung mit wiederholten Diäten bzw. dauerhaft eingeschränktem Essen nachgewiesen wurde. Mit dem damit einhergehenden Verlust des Hunger- und Sättigungsgefühls sinkt der Belohnungswert des Essens und das Risiko für Heißhungeranfälle steigt.
Starkes Übergewicht kann eine ganze Reihe von Erkrankungen fördern: das Herz-Kreislauf-System mit der Folge Bluthochdruck, in erhöhten Blutfettwerten und damit einem erhöhten Risiko für Arteriosklerose. Das hohe Gewicht strapaziert die Gelenke und die Wirbelsäule, die ständige Überbelastung führt zu Schäden vor allem an Knie- und Hüftgelenken, an den Bandscheiben der Wirbelsäule.
Zu den seelischen Folgen zählen neben Depressionen, Angst- und Zwangsstörungen, die sich in übertriebenen Waschen und Putzen zeigen, auch Scham-/Schuldgefühle und Ekel, den die Betroffenen nach den Essanfällen spüren. So kann der Hass auf den eigenen Körper, auf sich selbst verstärken und zu Depressionen führen.
Bei vielen Betroffenen ist die Lebensqualität allgemein eingeschränkt. Durch eine Psychotherapie wird in 80% der Fälle eine Verminderung der Essanfälle und bei ca. 65% der Betroffenen auch langfristig eine vollständige Heilung erreicht.
Für Fragen oder weitere Auskünfte stehe ich Ihne gern zu Verfügung!
Kerstin Bröcker
Quelle: DHZH 2/2013- Essstörungen